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Anfechtung der Berliner Wahlen

Absender:

Johannes Graubner

Empfänger:

Landeswahlleiter Berlin
- Prof. Günther Appel -
Statistisches Landesamt Berlin
Alt-Friedrichsfelde 60
10315 Berlin

Datum: 14. Oktober 1999

Betreff: Anfechtung der Berliner Wahlen vom 10. Oktober 1999
(Berliner Abgeordnetenhaus und Bezirksversammlungen)

Sehr geehrter Herr Prof. Appel,

die Berliner Wahl vom 10. Oktober 1999 und damit ihre Ergebnisse sind anzufechten, weil die verwendeten Wahlzettel keine hinreichenden Instruktionen zu ihrer Verwendung enthielten. Konkret fehlte jeder Hinweis darauf, wieviele Stimmen auf einem Wahlzettel vergeben werden können.

Ich beantrage, das Fehlen der Instruktionen als groben Verfahrensfehler bei der Durchführung der Wahl zu erklären und im Wahlbericht zu nennen. Angesichts der tatsächlichen Zahl der ungültigen Stimmen (<2%) und ihrem geringen Einfluß auf das Endergebnis halte ich eine Wiederholung der Wahl nicht für erforderlich.

Begründung

In Deutschland (und auch darüber hinaus) gibt es die vom Gesetzgeber gezielt geförderte Mentalität, daß der Bürger vor allen Gefahren gewarnt werden muß, er immer alle Instruktionen bekommt, wie er oder sie sich vor jeglicher Gefahr schützen soll, und darum selbst nicht mitzudenken braucht. Das gilt für den Straßenverkehr (Stichworte "Schilderwald" und "Überreglementierung") ebenso wie für den Einsatz von Produkten im täglichen Privat- und Arbeitsleben (Stichworte "Bedienungsanleitung" und "Gefahrenhinweise").

Auch die mißbräuchliche Nutzung der Wahlzettel kann erhebliche Gefahren nach sich ziehen, nämlich daß während der nächsten Wahlperiode nicht jene politische Kraft die Macht hat, die der jeweilige Wähler eigentlich dazu auserkoren hat, seinen Verzicht auf eigenes Nachdenken weiter zu unterstützen. Bei der Bewertung der damit verbundenen Höhe der Gefahr ist der Stellenwert zu berücksichtigen, der Wahlen in unserer Demokratie beigemessen wird. Dementsprechend ist eine mißbräuchliche Nutzung bereits die versehentliche Ungültig-Machung des Wahlzettels.

In Analogie zum Produkthaftungsgesetz und verwandten Gesetzen und Richtlinien (z.B. Gerätesicherheitsgesetz, Maschinenrichtlinie der EU etc.) sind Wahlzettel und die Anleitungen zu ihrer Benutzung als Einheit anzusehen (die Benutzungsanleitung ist Teil des Wahlzettels). In der Anleitung sind alle notwendigen Informationen zu geben, die zur sicheren Verwendung des Wahlzettels erforderlich sind. Dabei ist es ein Fehler, wenn die Anleitung nicht den Erwartungen entspricht, die die Allgemeinheit berechtigterweise stellt. Bei der Bewertung der Erwartungen ist von der Anwendergruppe (Zielgruppe) mit dem geringsten Bildungsstand auszugehen. Je geringer der Bildungsstand ist, desto höher sind die Anforderungen, die an die Anleitung gestellt werden. Insbesondere auch ist es notwendig, darauf hinzuweisen, wenn die Benutzung vom - möglicherweise - Bekannten abweicht.

Der Wähler muß also ausreichende Instruktionen erhalten, wie er oder sie den Wahlzettel zu benutzen hat. Insbesondere ist er auf den Berliner Wahlzetteln auch darauf hinzuweisen, daß er nur eine Stimme hat, nur ein Kreuz machen darf. Er ist auf die Gefahr aufmerksam zu machen, daß der Stimmzettel bei mehr als einem Kreuz bei der Auszählung automatisch als "ungültig gewählt" gewertet wird. Hier nämlich weicht Berlin von anderen Bundesländern erheblich ab, wo die Wähler oftmals ein vielfaches an Kreuzen machen dürfen. Auf den drei Wahlzetteln der letzten Berliner Wahl (Erst- und Zweitstimme Abgeordnetenhaus, Bezirksverordnetenversammlungen) aber fehlte jeder Hinweis auf die Zahl der maximal zulässigen Kreuze. Es ist fahrlässig, möglicherweise grob fahrlässig, davon auszugehen, daß der Wähler ausreichend Wissen besitzt, um eine Personenwahl von einer Listenwahl unterscheiden zu können, und weiß, daß er bei einer Listenwahl grundsätzlich nur eine Stimme hat.

Da der Gesetzgeber die Bringeschuld-Erwartungen hinsichtlich den Gefahreninstruktionen bewußt und gezielt fördert, wiegt es besonders schwer, wenn dieser bei seinen eigenen "Produkten" diese Erwartungen nicht ausreichend berücksichtigt und erfüllt.

Entsprechend vorgenannten Überlegungen war es ein grober Verfahrensfehler, daß auf den genannten Wahlzetteln und auch in den mit der Briefwahl versandten Unterlagen jeder Hinweis darauf fehlte, wieviele Stimmen (Kreuze) auf jedem Wahlzettel vergeben werden können. Dieser Verfahrensfehler ist im Wahlbericht zu nennen.

Mit freundlichen Grüßen
Johannes Graubner
Technischer Redakteur

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